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Vater-Kind-Happening

Autorenbild: DianaDiana

Aktualisiert: 19. Sept. 2024




Es ist Samstagmorgen und ich betrete im Halbschlaf die Migros. Es scheint, dass das letzte Bier gestern doch zu viel gewesen ist. Irgendwie sehe ich doppelt oder schon dreifach. Anders kann ich mir das gigantische Sammelsurium an Kindern zwischen den Obst- und Gemüsekisten nicht erklären.

 

Das Erwachen passiert schnell und gnadenlos. Ein kleiner Chnobli fährt voller Enthusiasmus seinen Einkaufswagen in den Korb mit Melonen. Diese purzeln, wie es die Schwerkraft vorsieht, zu Boden und verteilen sich über die ganze Fläche. Der Chnobli erstarrt und gibt sein Learning über Aktion und Reaktion mit lautem Geschrei zum Ausdruck. Bei Kindern gibt es keine Dezibel-Obergrenze.

 

Ein junger Blondschopf mit einem Sack voll Tomaten lernt die Zahlen bei der Waage. Wie viele Fehlversuche darf er haben, bis der Papi hilft? Es sind vier an der Zahl! Als ich endlich an der Reihe bin, habe ich die Nummer für meine Aprikosen vergessen und muss nochmals zurück. Ja bravo: Denksport zur frühen Morgenstunde.

 

Klischeemässig gibt es in der Fleischabteilung kein Durchkommen mehr − Stau zwischen Kotelett und Rindsfilet. "Mann" braucht schliesslich Fleisch. Die veganen Hipstermänner mit Dutt sind offensichtlich noch nicht unterwegs.

 

Bei den Cerealien verstehe ich langsam, dass es verschiedene Levels gibt. Es gibt Väter, die sich wahrscheinlich das erste Mal dem Abenteuer stellen. Sie wirken überfordert mit dem gleichzeitigen Suchen der Produkte, dem Hantieren mit Kinder- und Einkaufswagen und dann auch noch damit, die munteren sowie manchmal auch weinenden Kinder in Schach zu halten. Die Nutzung der Handscanner sollten sie erst ab Level drei und die Übergabe derer an den Nachwuchs ab Level fünf in Betracht ziehen − ausser natürlich, wenn die Kreditkarte keine Limite hat.

 

Es gibt auch diejenigen Väter, die den Olymp des Vater-Kind-Happenings bereits erreicht haben. Diese stehen gemeinschaftlich zwischen Cola und Chips, strahlen eine schon fast unverschämte Tiefenentspannung aus und tauschen sich vergnügt aus, währenddessen das Jungvolk, ausgerüstet mit Laufvelos, durch die Gänge flitzt. Rechtsvortritt existiert nicht. Es gilt das Recht der Kinder. Zehn Meter im Laden sind einer Autofahrt Zürich–Bern zur Rushour gleichgestellt: Stop-and-go, links, rechts, hinten, vorne – und ich mittendrin.

 

Inzwischen bin ich bei den Haushaltsartikeln angekommen und umklammere den Einkaufswagen, dass die Knöchel weiss hervortreten. Ich ertappe mich, wie ich das Lied von Pippi Langstrumpf leise vor mich hin summe. Unversehens merke ich, dass ich den Zopf vergessen habe. Doch beim Gedanken daran, nochmals zum Eingang zurückzukehren, sträuben sich sämtliche Nackenhaare. Das wäre ja wie beim Leiterlispiel, wenns wieder abwärts geht. Nicht mit mir. Brot zum Frühstück wird sowieso überbewertet, Aprikosen tun es auch.

 

Wer jetzt denkt, dass ich die Väter für die Wildwest-Zustände verantwortlich mache, irrt sich. Nichts liegt mir ferner, als meinen Senf zum Thema Erziehung zu geben.

 

Ich gönne allen Müttern die bestimmt mehrstündige Auszeit. Ich freue mich für alle Väter, die Zeit mit ihren Kindern verbringen, und natürlich gönne ich es auch den Kindern. So macht Einkaufen bestimmt Spass – Quality-Time in Strampelhosen. Mein Appell geht an die Migros: Samstag zwischen 10:00 und 12:00 Uhr gehört den Kindern und deren Vätern. Wenn Sie das entsprechend vermarkten, kommt unsereins nicht auf die Idee, dann einkaufen zu gehen. Schliesslich gehen wir am Mittwochnachmittag auch nicht ins Hallenbad.

 

Immerhin erübrigt sich an diesem Tag ein Gang ins Fitness-Studio, und ein Check beim Arzt ist auch nicht nötig. Kondition, Reaktionsvermögen und Herz: alles ist in bester Ordnung.

 

Nächsten Samstag gehe ich jedenfalls in den Coop. Vielleicht haben sie ja dort eine Sirupbar für die Kinder und einen Flachmann für mich.

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